Montag, 28. Dezember 2015

Die Zerstörung des alten Palmyra - 1929

Palmyra war 2015 wegen der Zerstörungen durch Daesh in den Schlagzeilen - weil hier Geschichte zerstört wurde, die wir als Teil unserer eigenen Vergangenheit verstehen.
 

Tadmor 1929

Aber Palmyra wurde 2015 nicht zum ersten Mal zerstört. Das letzte Mal waren allerdings Archäologen diejenigen, die ein Zerstörungswerk vollbracht und Menschen ihrer Geschichte beraubt haben.
Bis 1929 lag das arabische Dorf Tadmor im Bereich der antiken Ruinen. Rund um den nun gesprengten Tempel des Baal befand sich im Schutz des alten, zu einer Befestigung ausgebauten Tempelbezirks ein Dorf mit mehreren hundert Einwohnern.
Europäische Reisende beschreiben es sehr herablassend als ärmlich. Um die Ruinen freizustellen und Ausgrabungen zu ermöglichen, wurden die Bewohner von der französischen Mandatsmacht, die die Kontrolle in Syrien nach dem Ersten Weltkrieg übernommen hat, kurzerhand auf einen Platz nordöstlich der Ruinenstadt zwangsumgesiedelt. Die Moschee, die in den Ruinen des Baal-Tempels errichtet worden war, wurde abgetragen. Eine Dokumentation der vermutlich bis ins 12./13. Jahrhundert zurück reichenden Relikte der arabischen Vergangenheit erfolgte nicht.



Straße im arabischen Dorf im Tempelbezirk des Baal, zwischen 1900 und 1920
(Foto: Photo dept., American Colony [Jerusalem] via Wikimedia Commons)




Weitere Bilder des alten Dorfes aus den Archives ouvertes de l'Institut français du Proche Orient (mit fraglichem ©-Anspruch):
sowie:
Beschreibung von Charles G. Addison, Damascus and Palmyra. A Journey to the East II (London 1838):




Entfremdung von der eigenen Geschichte

Bei der Krise im Nahost darf nicht übersehen werden, dass gerade auch der Westen einen nicht unerheblichen Teil zur heutigen Instabilität beigetragen hat - und das nicht erst seit dem amerikanischen Angriff auf den Irak nach 9/11, der die Entstehung des Daesh erst möglich gemacht hat. Schon vor dem ersten Weltkrieg hatten die Europäer in vielen Regionen des osmanischen Reiches, in Marokko, Libyen, Ägypten, Syrien, am Bosporus und auf dem Balkan eigene koloniale Interessen. Mit dem auch heute nicht wirklich überwundenen selbst-zentrierten Weltbild ging eine Ausbeutung und Entwürdigung der dortigen Menschen einher, an der auch die Archäologie ihren Anteil hat. Die Vergangenheit des Nahen Ostens wurde und wird als Teil der eigenen europäischen Geschichte in Anspruch genommen. Bis zu einem gewissen Grade mit Recht, liegen doch dort ganz wichtige Innovationszentren der Geschichte, von der bäuerlichen Sesshaftigkeit über die ersten Städte bis zur frühen Bürokratie, Schriftlichkeit und Staatlichkeit - die aber allesamt nicht nur Teil der westlichen Geschichte sind. 
Die Probleme des heutigen Kulturgutschutzes, Zerstörung durch bilderstürmende Terroristen, Plünderungen für einen Markt im Westen, wie auch ein alltägliches Desinteresse an den Ruinen hat nicht zuletzt mit der westlichen Vereinnahmung der Geschichte im Vorderen Orient zu tun.

Heranführen der Bevölkerung an die Geschichte ihrer Umgebung


Workshop für Kinder und junge Erwachsene im antiken Gadara
im Norden Jordaniens, durchgeführt von DAI und dem Archäologischen
Institut der Universität Hamburg
(Foto: L. Berger/DAI
[CC BY NC ND - in der Quelle nicht verlinkt und spezifiziert] via DAI)
Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn archäologische Funde vor Ort nicht als Relikte der eigenen Vergangenheit und Identität wahrgenommen werden. Da ich selbst nicht in der Region arbeite, weiß ich nicht, inwiefern die Erinnerung an die "Kolonialzeit" heute noch eine unmittelbare Rolle spielt.

Heute finden Ausgrabungen nach Möglichkeit immer in Koorperation mit regionalen Institutionen statt und Funde dürfen schon lange nicht mehr ausgeführt werden. Initiativen, wie die des DAI, das im Norden Jordaniens für Kinder, sowohl der Einheimischen als auch der Flüchtlingsfamilien aus Syrien Workshops anbietet, um die eigene Geschichte kennen zu lernen, sind daher ein ganz wichtiger Beitrag zum Kulturgutschutz.



Umsiedlungen im Namen von Archäologie und Denkmalschutz

Umsiedlungen ortsansässiger Bevölkerung, wie in Palmyra, mit dem Ziel antike Denkmäler freizustellen und archäologische Untersuchungen zu ermöglichen, waren in der Vergangenheit nicht selten. Dies betrifft beispielsweise auch Petra in Jordanien, wo man die nomadische Bevölkerung, die die antike Stätte noch vor wenigen Jahrzehnten genutzt hat, in kleinen Häusern angesiedelt hat. Diese Umsiedlungen zugunsten der Archäologie sind aber kein Phänomen des Vorderen Orients allein. Auch die antiken Heiligtümer von Delphi und Olympia oder auch die Kaiserforen inmitten von Rom waren einst dicht besiedelt. Diese Umsiedlungen im Namen der Archäologie sind ein Kapitel der Forschungsgeschichte, das dringend einer Aufarbeitung bedarf. 

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