Montag, 27. April 2015

Archäologie im Dienst von Pop-Kultur?

Das Verhältnis der Archäologie zur Gegenwart - oder besser: der Archäologen zur gegenwärtigen Gesellschaft - ist ein vielschichtiges, in der deutschsprachigen Forschung nur ansatzweise reflektiertes Thema. Gleichwohl scheint es wichtig - ergeben sich doch daraus (bewußt oder häufiger unbewußt) die Fragestellungen, der Auftrag und die Legitimation archäologischer Forschungen. Beispiele, die die enge Verbindung zwischen der archäologischen Erforschung der Vergangenheit und der Gegenwart des Forschers demonstrieren, sind jedem Archäologen bekannt. Mag er dabei an Lawrence von Arabien denken, an archäologische Forschungen im Dienste rassistischer/ nationalsozialistischer Weltanschauung, an die spezielle Antragsrhetorik für spezielle Forschungsförderungsprogramme oder auch nur an ein lokales Politikum um irgendein Bauprojekt - Archäologie kann der Gegenwart nicht entkommen.

Mit den neuen Medien organisiert sich ein Archäologie-interessiertes Laienpublikum, seien es facebook-Gruppen von ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern, Sondengängern oder eher esoterisch Interessierten. In solchen Foren kommen wenig wissenschaftliche Ansichten zu Wort, die Verschwörungstheorien und Parawissenschaften anhängen. Die Wissenschaft muss sich in einer Zivilgesellschaft damit auseinandersetzen, denn all dies sind Interessen der Gesellschaft, die man nicht von oben unterbinden kann und sollte.  Darüber hinaus werden hier durchaus öffentlichkeitswirksam Meinungen formuliert, die sich in Gesetzgebungsprozessen wiederfinden können - und vielfach wird in einer modernen Bürgergesellschaft die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit benötigt, wenn es etwa darum geht, einschneidende Mittelkürzungen oder Organisationsreformen der Denkmalpflege oder der Universitäten zu verhindern oder zu gestalten (siehe z.B. Nordrhein-Westfalen - Finanzkürzungen 2013). Aber auch die denkmalpflegerische Feldarbeit kann nicht ernsthaft ohne die Einbindung von interessierten Bürgern erfolgen.

Die Wissenschaft muss hier offensiv die gesellschaftlichen Interessen einer Wissenskultur vertreten. Solides, oder jedenfalls kritisch reflektiertes Wissen und Information sind schließlich eine wichtige Basis moderner Gesellschaften. Wissensvermittlung verläuft dabei immer weniger im frontalen Dozieren, sondern im Diskurs.

Archäologie als Teil der Alltagskultur
Damit dies gelingen kann, muss man sich darüber im Klaren sein, welche Rolle der Bürger heute für den Prozess der Forschung spielt. Es geht dabei nicht zuletzt um die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Archäologie - die außerordentlich strapaziert sind (siehe „Das nennt sich Fieldwork, ihr Schnarchzapfen“ – Der Rülzheimer „Barbarenschatz“ und die öffentliche Wahrnehmung von Denkmalpflege und Archäologen).

Cornelius Holtorf hat das Bild der Archäologie in der Öffentlichkeit untersucht und konnte dabei verschiedene Archäologen-Klischees herausarbeiten. Ob Detektiv, Abenteurer/Schatzgräber, oder Denkmal-Manager, immer stehe dabei mehr der archäologische Prozess, also die Forschungsarbeit im Vordergrund als das Forschungsergebnis bzw. die Vergangenheit. Der Schluss, dass es an der Kommunikation zwischen Archäologie und ihrem Publikum mangelt, ist leicht nachvollziehbar. Zwar mangelt es nicht an Öffentlichkeitsarbeit und Museumsaktivitäten, aber diese transportieren selten Forschungsinhalte, sondern pflegen die Klischees, indem sie meist über einzelne Neufunde oder über die Feldarbeiten selbst berichten. Vermittelt wird das Finden und das Dokumentieren (und [oft mit etwas Angeberei] die dazu eingesetzte High-Tech), aber nicht das Interpretieren. In der Tat scheint auch mir, dass sich kaum ein Archäologe Rechenschaft darüber ablegt, was er denn eigentlich der Öffentlichkeit jenseits seiner Funde vermitteln möchte, welches Geschichtsbild seiner Tätigkeit zugrunde liegt.


Public archaeology oder Wissenschaft?
Holtorf vertritt indes einen extremen Standpunkt: Archäologie sollte sich an ihrem Publikum ausrichten und zur public archaeology werden. Er plädiert dafür, die Archäologie hätte bei dem allgemein eher positiv besetzten Bild in der Öffentlichkeit, diese Öffentlichkeit in die Archäologie einzubinden - anstatt gegen sie zu arbeiten.

Je mehr Menschen an der Archäologie teilhaben und ihre Freude daran hätten, um so bedeutender sei ein archäologisches Projekt. Holtorf verweist hier auch auf die öffentliche Finanzierung der Archäologie, woraus sich eine Verantwortung der Archäologie ihrem Publikum gegenüber ergäbe.

Holtorfs Schlussfolgerungen sind indes etwas verstörend, denn sie bedeuten im Endeffekt, dass Archäologie keine Wissenschaft, sondern Unterhaltungsprogramm wäre. Dann aber gibt es effektivere Methoden, die Massen zu unterhalten: Brot und Spiele (Pommes und Fußball). 


Der dänische Archäologe Kristian Kristiansen wendet sich gegen die Ideen von Cornelius Holtorf (Kristiansen 2008). Er weist auf einige Brechungen in Holtorfs Perspektive hin, indem er die Dialektik zwischen Archäologie und ihrem Publikum verkenne. Gerade die Faszination der Archäologie, nämlich der Forschungsprozess, würde zunichte gemacht, wenn sich die Archäologie auf Holtorfs Forderung einlässt. Und die Forschung trägt eine Verantwortung - dafür, dass die Vergangenheit nach bestem Wissen und Gewissen und auf der Basis aktueller Standards interpretiert und nicht populär manipuliert wird.

Faszination des Forschungsprozesses ist m.E. aber kein ausreichendes Argument. Man kann durchaus vom Sondeln, Sammeln und Phantasieren fasziniert sein. Dazu braucht es Archäologie als Wissenschaft nicht.
Archäologie hat Bedeutung, weil wir lernen können, weil wir Wissen schaffen, das uns etwas sagt. Aber was ist das? Antworten sind hier in der Fachliteratur nur wenige zu finden.

Defizite der Selbstreflektion
Was m.E. hier zum Ausdruck kommt ist eine mangelnde Selbstreflektion von Sinn und Nutzen archäologischer Forschung. Das Humboldt-Zitat Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft!bleibt leer, so lange man nicht die Frage beantworten kann, wie sich die Vergangenheit auf die Gegenwart bezieht, wie man als Wissenschaftler die Vergangenheit nachvollziehbar und mit Gewinn auf die Gegenwart bezieht.

Meines Erachtens ist das möglich (nicht immer und überall, aber immer öfter), es erfordert zwingend eine kritische Reflektion der jeweiligen Argumentation und des konkreten gesellschaftlichen Umfeldes. 

Grundlegend - nicht nur unter einem öffentlichen Rechtfertigungsdruck, sondern auch für die Qualität der Forschung - scheint es daher, dass bei der Formulierung archäologischer Fragestellungen aktuelle Themen aufgegriffen werden und Bezugspunkte zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Debatten geschaffen werden. Das muss ernsthaft geschehen und darf nicht in Populismus oder bloßer Rhetorik enden, denn dann wird Wissenschaft unseriös, angreifbar und anfällig für ideologischen Mißbrauch.
Hier muss sorgfältig erforscht und diskutiert werden, wie eine historische Perspektive für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden kann. Dabei reicht das Spektrum von ganz praktischen Anwendungen (prä)historischer Techniken (siehe " Lernen aus der Vergangenheit") bis hin zu einer Risikoabschätzung (siehe z.B. Risiken für AKWs am Rhein) oder einer einfachen historischen Orientierung (siehe z.B. Integration - Altes zu einer aktuellen Debatte). Fragestellungen und Forschungsergebnis, jenseits des Findens, des Typologisierens und Datierens müssen wohl deutlicher dargestellt werden. Hier mag es helfen, Archäologie als eine Kulturwissenschaft zu verstehen. In der Vermittlung muss neben die Darstellung des Ausgrabens eine Darstellung archäologischen Interpretierens treten. Mit anderen Worten: "Theorie" muss ebenso vermittelt werden, wie das Abenteuer Grabung.

Die Fachdiskussionen über den 'Umgang' mit einer Bürgergesellschaft, über die Methoden, die notwendig sind, um aus der Vergangenheit zu lernen, fehlen ebenso wie eine angemessene Wissenschaftsdidaktik. Hier macht sich auch bemerkbar, dass der deutschen archäologischen Forschung die Erfahrung der Dekolonialisierung fehlt, in deren Zuge in der angelsächsischen Forschung die Frage diskutiert wurde, wie sich eine moderne Forschung etwa gegenüber den Nachfahren zu verhalten hat und wie die Rechte und Ansichten einer ethnischen Gruppe zu wahren sind.

Literatur

Links


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