Mittwoch, 2. April 2014

Ein Denkmal als Kriegsvorwand? - Syrien im März 2014

Nationales Kulturgut als türkischer Kriegsvorwand
Die Problematik von Kulturgütern im syrischen Bürgerkrieg erhielt im März eine neue Dimension. Schon länger war von einigen Beobachtern befürchtet worden, dass das Grab von Suleyman Shah (ca. 1178 – 1236), dem eher legendären Großvater von Osman I., dem Begründer des Osmanischen Reiches dazu führen könnte, dass die Türkei militärisch in den syrischen Bürgerkrieg eingreift. Nach der Auflösung des Osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg wurde im Vertrag von Ankara 1921 bestimmt, dass das Grab weiterhin türkisches Hoheitsgebiet bleibe. Das Grab liegt rund 25 km südlich der türkisch-syrischen Grenze. Bereits im August 2013 hat der türkische Premierminister Erdogan erklärt, dass ein Angriff auf das Grab ein Angrff auf die Türkei und die NATO sei.
Schon seit längerem lässt sich beobachten, dass neben die reinen Kriegszerstörungen von Kulturgütern und die Plünderung archäologischer Fundstellen auch die fundamentalistisch-religiöse Motive treten (s. Archaeologik), die gezielt gegen Bilder und 'Heiligtümer' vorgehen. Der im Nordosten Syriens herrschende al-Quaida-verbundene "Islamische Staat im Irak und der Levante (ISIL)" (s. wikipedia) vertritt diese Linie und hat nun seine Absicht erklärt, auch das Grab von Suleyman Shah zu zerstören und hat deswegen die Türkei aufgefordet, seine Wachtruppe von dem Grab abzuziehen. Die Türkei hat einen Angriff zum Kriegsgrund erklärt, das seinen Einmarsch nach Syrien rechtfertige.

Mitschnitte von Telefonaten zwischen dem Außenminister Ahmet Davutoğlu, türkischen Militärs und Geheimdienstlern waren auf youtube geleakt worden, das nicht zuletzt deshalb in der Türkei gesperrt wurde. Darin wird besprochen, wie ein Angriff auf das Grab inszeniert werden könnte. Der sich im Wahlkampf befindende Erdogan wird dabei mit der Aussage zitiert, dass ein Angriff auf das Grab als eine Gelegenheit gesehen werden müsse.

Bemerkenswerterweise liegt das Grab längst nicht mehr an seinem originalen historischen Platz. Der originale Schauplatz liegt rund 100 km weiter südlich und versank erst 2001 in den Stauseefluten. Im 19. Jahrhundert war das Grab renoviert worden - wobei offenbar fraglich bleibt, ob es sich tatsächlich um das Grab von Suleiman Shah handelt. (Ich kann den konkreten Fall nicht beurteilen, aber entsprechende Identifikationen sind häufig recht problematisch). Als 1973 der Euphrat-Stausee geplant wurde, wurde das Grab (und die türkische Exklave) verlegt.


Grab des Suleyman Shah auf einer größeren Karte anzeigen
blau: aktuelle Lage - rot vor der Verlegung 1973



Plünderung und Antikenhehlerei 

Antiken-Importe in die USA aus Syrien sind 2013 gegenüber 2012 auf das 17fache gestiegen (Anstieg gemessen anhand der Importzölle von 6.870$ auf 101.349$). Noch dramatischer sind die Importe aus dem Libanon gestiegen (Importe aus Ägypten haben sich "nur" verdoppelt).
Die syrische Altertumsbehörde beklagt die Rolle des Auslands bei der Plünderung ihres Kulturerbes. Speziell die Türkei würde beim Schmuggel syrischer Fundobjekte wegschauen. Viele Fundstellen und Depots würden systematisch geplündert. Der Artikel verweist auf ein Depot bei Raqqa, das im Oktober 2013 von einer 100 Mann starken bewaffneten Truppe geplündert wurde sowie auf Raubgrabungen in Idlib und Dura Europos. Vermehrt gelangen Funde wohl auch in die Golf-Staaten. Lobend erwähnt wird der Libanon, von dem einige geschmuggelte Funde nach Syrien zurück gegeben wurden.



Wie der syrische Fernsehsender Addounia.tv am 4.3. berichtet, haben die Behörden mehrere Grabreliefs aus Palmyra sichergestellt:
Entsprechende Reliefs sind ohne nachvollziehbare 'Provenienz'angaben häufig im Internethandel. So heißt es z.B.http://www.alteroemer.de/shop_info_AR1756.php zu einem palmyrenischen Grabrelief: "2011 in einem traditionellen deutschen Auktionshaus erworben. In dieses eingeliefert vom Erben einer französischen Sammlung, welche in den 1960er Jahren angelegt wurde." Nähere Belege dazu werden wie üblich nicht gegeben. Unabhängig davon, dass es (jedenfalls ohne weitere Recherche) für besagtes Relief keinen spezifischen Anlaß gibt, die Angaben zu bezweifeln, wird durch diese Praxis den Antikenhehlern eine bequeme Möglichkeit zur Fundwäsche geboten. Man braucht nur zu behaupten, das Stück stamme "aus alter Sammlung". Provenienzen von Funden sind genaue Fundorte und Befundkontexte, aber nicht irgendwelche Sammlungen.
Wie solche Reliefs schon früher geraubt und geschmuggelt wurden, hat Helmut Thoma, Ex-RTL-Chef schon vor längerem lebhaft geschildert:

Seit 1986 arbeiteten Archäologen der Universität Leiden in Tell Sabi Abya. Ihr Fundmaterial war in einem Depot in Raqqa untergebracht. Nun melden die Kollegen auf ihrer Internetseite, dass diese Depots geplündert worden sind:
Ein Drittel der Grabungsfunde ist publiziert, der Rest befand sich erst in Bearbeitung. Bewaffnete hätten das Depot ausgeräumt. Näheres über die Verluste ist noch nicht bekannt (vergl. Archaeologik: Ausgeraubt? - Das Museum von Raqqah). Auch die Fundstelle selbst wird geplündert.

Weitere Meldungen über Plünderungen kommen aus der Region Deir Ezzor im Osten des Landes:

Weitere Medienberichte

    Kriegszerstörungen
    Zum Krak des Chevaliers siehe Archaeologik (21.3.2014): Krak des Chevaliers von syrischer Armee erobert
    Einer der Gewährsmänner von APSA ist bei den Luftangriffen am 3. März ums Leben gekommen, zu einem zweiten Kollegen besteht seitdem kein Kontakt mehr.
    Bilder der Luftangriffe:
    Neue Bilder finden sich bei
    https://www.facebook.com/photo.php?fbid=682324941808674&set=a.567548313286338.1073741849.206206982753808&type=1&theater sowie bei der DGAM:
    http://dgam.gov.sy/?d=239&id=1180 (nach der Rückeroberung).
    Der Burgerbe-Blog bringt einen Fotovergleich: 
    Über die Rückeroberung berichten nun auch http://archaeologynewsnetwork.blogspot.de/2014/03/syrian-army-takes-krak-des-chevaliers.html basierend auf Daily Star.
    Ein interessanter Blogbeitrag zum Krak des Chevaliers skizziert dessen Geschichte, aber auch seine Rolle im aktuellen Konflikt:

    Aktionen und die üblichen Appelle
    Die gefühlt Hundertste UN-Erklärung zur Zerstörung des Kulturerbes in Syrien bringt immerhin noch ein bischen weiteres Medienecho:

      Medienberichte

      National Geographic widmet einen Artikel den Zerstörungen in Damaskus:

      Die New York Times nimmt die beiden französischen Archäologen Pierre Leriche und Jean-Claude Margueron  als Aufhänger, um über die Zerstörung des Kulturerbes in Syrien zu berichten.
        Sauber werden drei Arten der Zerstörung unterschieden:
        1. Die Zerstörung bei Kampfhandlungen betrifft in hohem Maße alte Festungen
        2. Plünderung und Zerstörung von Fundstellen
        3. Der Diebstahl aus Museen - oft durch professionelle Räuber durchgeführt, die offenbar auf ganz bestimmte Objekte zielen.

        Der Kulturgüterschutz hoffte gerade auch mit Blick auf Syrien allenthalben darauf, dass der Hollywood-Film 'The Monuments Men,' etwas mehr mediale Aufmerksamkeit auf ihr Anliegen lenkt:
        Französischer Blogbeitrag:
        Eine interaktive Karte der Zerstörungen:

        Literaturhinweis

        Interne Links

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