Donnerstag, 12. September 2013

"Insoweit erfährt man eben nichts, was durch Neuheit oder Besonderheit überraschen könnte" - Ein Grabfund 1828 und seine historische Würdigung

1828 wurden in einem Steinbruch bei Geislingen an der Steige alamannische Funde gemacht.
Damals steckte die Archäologie noch in den Anfängen. Die Analyse, die der unbekannte Verfasser L. vorlegt, ist interessant, weil sie ein Licht auf das Verständnis archäologischer Funde als historische Quelle in der frühen Forschungsgeschichte wirft.

Beginn des Fundberichts von 1828
(Ortsakten LfD, Esslingen)
"Die in dieser Kiste aufbewahrten Alterthümer wurden im Spätjahr 1828 zu Altenstatt, Geißlinger Oberamts zwey Schuh tief in Gräbern, welche soweit hinabreichten, als die auf dem Felsen liegende Erde, gefunden. Die menschliche Gebeine nebst der aschenfarbenen Erde begleitete jedesmal einen irdenen Topf, eine eiserne Topfbedeckung - hier 2 von unterschiedner Dimension, eine eiserne Lanzenspize u. Bruchstücke von eisernen Schwerdtern - hier den obern Theil oder die Angel einer solchen Waffe. Die Formen sind durchaus römisch, so wie man den Topf als Aschenbehälter aus mehreren Inschriften bei Gruter [i.e. Janus Gruterus, Inscriptiones antiquae totius orbis romani in corpus absolutiss. redactae (Heidelberg 1603. - 2. Aufl. in 4 Bänden: Amsterdam 1707) - Anm. R.S.] u. Reinesius kennen lernt. (...) Insoweit erfährt man eben nichts, was durch Neuheit oder Besonderheit überraschen könnte.

Wichtiger ist der Fund einmal durch seine Oertlichkeit, so wie 2tens durch seine Beschaffenheit im Vergleich mit ähnlichen Überbleibseln, namentl. den Schwertern eines den Römern gleichzeitigen kundigern [?] Volksstammes.
In erster Hinsicht verdankt man diesem Funde die Bestätigung des geschichtlichen Interesses einer Gegend, welche erst neuerlich aus so früher Zeit bekannt geworden ist. Seit dem neml. durch den K. Bair. Prof. Buchner (Reise auf d. Teufelsmauer 2. Heft. 1818.//. 1821. 8 [i.e. A. Buchner, Reisen auf der Teufelsmauer, 2. Heft. Enthält die Reise in Schwaben (1821) - Anm. R.S.]) dargethan wurde, daß das auf der Peutingerischen Tafel erwähnte Ad Lunam nicht, wie man sonst wähnte, oben bei der Leine in der Gegend von Welzheim, sondern, weil sich an der Stelle dieser Aufschrift die Straße, welche nach Augsburg geht von derjenigen kommt, welche im Norden fortlauft, weiter unten in dem auf der Rauhen Alp entspringenden Lonflüßchen oder bei Lonsee zu suchen sei: Mußte der Weg der Römer durch unser Schwaben, wie der Großhz. Badische ArchivRath Leichtlen ausdrücklich bemerkt (Schwaben unter den Römern Frei. 1825. S.156) bei Altenstatt als Ort des Vorspanns an der Alpsteige vorbeiführen, um nach Lonsee zu gelangen.
Wer nun mit den Schwürigkeiten bekannt ist, welche die Erklärung jener Peut. Tafel zu überwinden hat, wird gewiß nicht ohne Theilnahme das günstige Licht gewahren, das durch unsere Entdeckung auf das Streben jener Gelehrten geworfen wird. Er wird aber auch dadurch nur um so aufmerksamer auf die Beschaffenheit des Fundes selbst werden. Diese läßt sich, wenn besonders von dem kunstreicheren Teile den Schwertern, die Rede ist, nur an einen Masstab halten, welcher von einem den Römern zwar gleichzeitigen aber im Eisenguße überlegenen Volke gegeben ward. Die Celtiberer, die Anwohner der Pyrenäen in Biscaja, Catalonien, so wie ihre Nachbarn, die Celten oder Gallier sind dieses Volk. Sie waren seit den Kriegen der Römer mit Hannibal ihre Muster und Vorbilder in Waffenbereitung u. Eisenguß. Nach Suidas (Hub. V. μαχαιρα) hatten nun die Celten das Geheimniß, Schwerdter, die für Stoß u. Hieb zugleich taugten, zu verfertigen. Ihnen ahmten die Römer in Form u. Dimension nach, aber nie gelang es ihnen, das Eisen in gleicher Reinheit, Dauer u. Schärfe zu gießen. Kein Wunder, daß man so wenige derselben vorfindt, welche die Vergleichung mit den katalanischen oder auch nur denen der benachbarten Länder aushalten könnten. Bei diesen ist nemlich der Stahl, welcher die Schneide bildet so gut, daß noch 12 Jahrhunderte später und ohn erachtet [?] eines Rostes von der Dicke einer Linie, er auch das gehärtete Eisen durchdringt. Im Bruche gewahrt man ein silberfarbiges, helles Korn statt des aschenfarbigen, gräulichten unserer weichen Handelsstangen. Zudem scheint es, daß die Römer beim Gußeisen sich nur der Hochöfen von unterschiedener Form bedienten. Wenigstens gebraucht Plinius (H.N.C. 34. c.14) den Ausdruck fornaces während in den katalanischen Eisenhämmern in einem großen gemauerten Schmelztiegel gearbeitet wird. Da es mir gelang, zwei beinahe ganze Schwerdter, eines im Kabinett von S. Genevieve, das andere bei dem verst. Abbé de Terfau zu Paris, beide altgallischen Ursprungs zu sehen von dessen Schäzen neuerlich Grivaud Rechenschaft zu geben versuchte, sonst aber von keinem vollständigen römischer Abkunft Nachricht zu finden ist, so glaube ich, hiedurch im Stande zu seyn, den Gehalt obigen Fundes in Wirtemberg gehörig zu würdigen. Er verbürgt, wie es scheint den Aufenthalt der Römer in jenem Theile unseres Vaterlandes, aber es ist nicht weit gefehlt, daß er auch ihrer Kunsteinsicht das Sigel der Vollendung aufzudrücken vermöge.
L." 
(Ortsakten des Referat Denkmalpflege im RP Stuttgart, Esslingen. – Vergl. Schreg 1999, 561)

Geislingen, Steinbruch 1828
noch zuweisbare Funde,
heute Landesmuseum Württemberg
(nach Schreg 1999)

Die damals geborgenen Funde liegen heute teilweise noch im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart. Bei der eisernen Topfbedeckung handelt es sich zweifellos um einen Schildbuckel. Die Fundortangabe ist leider sehr ungenau, so dass nicht ganz sicher zu verifizieren ist, zu welchem Gräberfeld sie gehören. - Im Geislinger Talkessel sind vier bekannt, drei im Bereich Altenstadt, wo zahlreiche Tuffsteinbrüche bzw. Sandgruben lagen. Vermutlich aber stammen die Funde aus einem vierten Gräberfeld näher an der späteren Stadt Geislingen, zu dem sonst keine Informationen vorliegen. 1882 verzeichnete Eduard Paulus in der Archäologischen Karte von Württemberg ein Grab mit Waffen in einem Tuffsteinbruch bei Geislingen im Bereich des späteren Stadtparks. Die Gräberfelder in den Mühlwiesen und Am Oelweg waren damals nach allem, was wir wissen noch nicht bekannt.


Der eigenständige historische Quellenwert dieser Bodenfunde war damals noch nicht erkannt, man versuchte lediglich, die Funde mit schriftlichen Quellen zu erklären. Dies ist im Hinblick auf das damalige Geschichtsverständnis keineswegs verwunderlich, gab es damals doch noch keine 'Vorgeschichte'. Erst in dieser Zeit setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Menschheit älter sein müsse, als dies durch die Bibel nahegelegt wurde.  Dennoch sind interessante Ansätze erkennbar, die Funde über ihren antiquarischen Wert hinaus zu beurteilen.
Erst mit der Publikation des Gräberfelds von Selzen 1848 durch die Gebrüder Lindenschmit wurde deutlich, dass entsprechende Funde dem Frühmittelalter zuzuweisen sind.

Der nicht zu identifizierende Schreiber setzt den Fund in Bezug zu seinem Fundort. L. lokalisierte Ad Lvnam in Lonsee, obwohl der zitierte Buchner bereits auf die Geländereste bei Urspring hingewiesen hatte. 

Ausschnitt aus der Archäologischen Karte von Württemberg (Paulus 1882)


Literaturhinweise
  • W. Lindenschmit/L. Lindenschmit, Das Germanische Todtenlager bei Selzen in der Provinz Rheinhessen (Mainz 1848) (bei GoogleBooks) .
  • E. Paulus, Archäologische Karte von Württemberg. 4. Auflage (Stuttgart 1882)
  • R. Schreg, Die alamannische Besiedlung des Geislinger Talkessels (Markungen Altenstadt und Geislingen, Stadt Geislingen, Lkr. Göppingen). Fundber. Bad.-Württ. 23, 1999, 385-617.
  • R. Schreg, Die mittelalterliche Siedlungslandschaft um Geislingen - eine umwelthistorische Perspektive. In: H. Gruber (Hrsg.), "in oppido Giselingen…" 1108 - 2008. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Geislingen 26 (Geislingen 2009) 9–96. - online
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