Samstag, 19. Januar 2013

Bodenerosion 1342 - ein Rechtsstreit in Esslingen

Schriftliche Quellen, archäologische und geoarchäologische Befunde erweisen den Sommer 1342 als das Jahr des Jahrtausendhochwassers. Der Wasserabfluß war 10 bis 100 mal stärker als seitdem einmal. Neben Überschwemmungen lässt sich vor allem eine enorme Bodenerosion ausmachen, die mancherorts zu tiefem Schluchtenreissen geführt hat (Bork u.a. 2011).
Die Quellen beziehen sich vorrangig auf Main und Rhein sowie auf den Nordrand der Mittelgebirge entlang der Weser. Auch die Donau bei Regensburg und Wien war betroffen.
Über die Auswirkungen in Südwestdeutschland und insbesondere am mittleren und oberen Neckar ist bislang wenig bekannt.

Eine Urkunde aus Esslingen, ausgestellt am 9. September 1342 (EUB 368f. [Nr. 729]) hält die Entscheidung einer Klage des Esslinger Augustinerpriors Dymes von Gomaringen gegen Abt Ulrich von Kaisheim fest. Anlaß des Streits war, dass Erde von einem Kaisheimer Weinberg in das Areal des Augustinerklosters geschwemmt worden war. Abt Ulrich behauptete nun, die Augustiner hätten zu nahe an seinem Weinberg gegraben.
Die Richter ordneten eine Vermessung des Platzes an und bestimmten schließlich, das Kloster Kaisheim müsse früher vorhandene Mauern wieder aufführen und den Weinberg mit Zäunen und Hecken vermachen sowie Erde, die auf Augustinergrundstück falle, auf eigene Kosten wegführen. Das Wasser solle seinen früheren Abfluss behalten.

Die Stadt Esslingen in der Ansicht des Andreas Kieser.
Das fragliche Grundstück ist der Hang unterhalb der Burg, im Bereich der
dargestellten Schenkelmauer zwischen Stadt und Burg
(HStA Stuttgart H 107/15 Bd 7 Bl. 22,
via Wikimedia Commons)

Der Ort des Geschehens lässt sich unschwer am Nordrand der Stadt ausmachen, wo das Augustinerkloster im Zwickel zwischen Stadtmauer und Verbindungsmauer zur Burg direkt an die Weinberge im Hang angrenzt (Scholkmann 1992). Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Stadtansicht aus dem Forstlagerbuch des Andreas Kieser zeigt die Situation genauer. Während die Weinberge westlich der Stadt (links) mit Stützmauern dargestellt sind, fehlen diese am Hang zwischen Stadt und Burg wie auch in den kleinparzellierten Rebflächen östlich der Stadt. Die Schenkelmauer zur Burg grenzt den Weinberg am Hang - hier muss der Kaisheimer Besitz liegen -  gegen einen leichten Taleinschnitt weiter östlich ab. Wann die Schenkelmauer erichtet wurde, ist unklar. Man hat vermutet, dass sie zusammen mit der Ummauerung der nördlichen Vorstadt Beutau errichtet worden sein könnte - deren Ersterwähnung fällt in den Februar 1343. Ob sie ins 13. Jahrhundert zurückreicht oder doch erst nach 1351 entstanden ist, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt (Holzwart-Schäfer 2001, 36; Bräuning u.a., 1998, 45).
Auch wenn die Schenkelmauer das potentielle Einzugsgebiet der Erosion 1342 noch nicht beschnitten hat: Die Bodenerosion ist hier am Hang auf lokale Niederschläge zurückzuführen. In der Urkunde - genauer gesagt in deren Regest - heisst es, dass "stets" Erde vom Weinberg in das Kloster falle, es ist also nicht von einem einzelnen herausragenden Unwetter die Rede. Dennoch fällt es schwer zu glauben, dass eine der ganz wenigen schriftlichen Quellen zu Bodenerosion im Mittelalter nur rein zufällig wenige Wochen nach der Extremwetterlage im Sommer 1342 entstanden ist.
Als Arbeitshypothese wird man vermuten dürfen, dass auch das mittlere Neckarland im Sommer 1342 heftige Regen gesehen hat, die Wassermassen aber erst weiter unterhalb zu den verheerenden Hochwässern geführt haben.


Größere Kartenansicht - Die Situation im modernen Luftbild. Das Areal des 1668 zerstörten
Augustinerklosters liegt unmittelbar unterhalb der auch heute noch bebauten, das Esslinger
Stadtbild prominent bestimmenden Weinberge zwischen Stadtmauer (etwa markiert durch den
modernen Straßenverlauf) und ehemaliger Burg. Der sanfte Taleinschnitt erschließt heute eine
lockere Wohnbebauung.




Literaturverweise
  • EUB
    Urkundenbuch der Stadt Esslingen Band 2. Württembergische Geschichtsquellen 7, bearbeitet v. A. Diehl u. K.H.S. Pfaff (Stuttgart: Kohlhammer 1899).
  • Bork u.a. 2011
    H.-R. Bork/A. Beyer/A. Kranz, Der 1000-jährige Niederschlag des Jahres 1342 und seine Folgen in Mitteleuropa. In: F. Daim/D. Gronenborn/R. Schreg (Hrsg.), Strategien zum Überleben. RGZM-Tagungen 11 (Mainz 2011), 231–242. 
  • Bräuning u.a. 1998
    A. Bräuning/ A. Kotzurek/ G. Rathke/ E: Schweizer, Auszüge aus den Arbeiten am "Archäologischen Stadtkataster Esslingen am Neckar". Esslinger Studien 37, 1998, 7-72.
  • Holzwart-Schäfer 2001
    I. Holzwart-Schäfer, Stadtwerdung und topografische Entwicklung Esslingens im Mittelalter. In: H. Schäfer (Hrsg.), Stadt-Findung. Geschichte, Archäologie und Bauforschung in Esslingen. Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 64 (Bamberg 2001) 21–48.
  • Scholkmann 1992
    B. Scholkmann, Kirche und Frömmigkeit - das Fallbeispiel Esslingen. In: Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die Stadt um 1300 (Stuttgart 1992) 451–463.
     

1 Kommentar:

kg hat gesagt…

Das Esslinger Urkundenbuch muss nicht nach Google-Schnipseln verlinkt werden, da schon seit Jahren Wikisource das Digitalisat im Internet Archive nachweist:
http://de.wikisource.org/wiki/W%C3%BCrttembergische_Geschichtsquellen