Samstag, 2. Januar 2016

Propaganda mit Antiken (Syrien/ Irak, Dezember 2015)

Berichte  und Bilder aus Syrien und Irak, aber auch die westlichen Deutungen des Geschehens sind - wenig überraschend - tendenziös. Im Umgang mit den Berichten muss man sich dessen bewusst sein - um sie richtig zu bewerten und sich nicht für Propaganda der einen oder anderen Gruppe einspannen zu lassen. 
Da Archäologie nie unabhängig von der Gegenwart erfolgen kann - ihre Forschungen aber auch auf die Gegenwart bezogen werden müssen - ist es unerlässlich, kritisch zu reflektieren, welche Interessen jeweils verfolgt werden - und den eigenen Standort zu definieren.

Kulturgutzerstörung in der Propaganda des Daesh

Daesh unterhält seit August 2014 ein professionell produziertes Propaganda-Magazin, das im Druck und online verbreitet wird (Dabiq in der deutschen Wikipedia). Es nennt sich nach dem Ort einer zukünftigen Schlacht in der Apokalypse Dabiq. Mehrere Internetseiten, die sich mit dem Terrorregime des Daesh auseinandersetzen, haben die Ausgaben kritisch kommentiert verlinkt. 
Dabiq ist ein tatsächlich existierender Ort von etwa 3000 Einwohnern nördlich von Aleppo und nur etwa 10 km südlich der türkischen Grenze. Das Gebiet steht derzeit unter der Herrschaft des Daesh, jedoch nahe der Front zu Gebieten, die von der Freien Syrischen Armee kontrolliert und derzeit von Russland bombardiert werden.
Mächte in Syrien, November 2015
(nach Pieter Van Ostaeyen,
https://pietervanostaeyen.wordpress.com/2015/11/20/syria-map-update-dd-november-16/ mit Eintrag von Dabiq,
zur Nutzung freigegeben lt. https://pietervanostaeyen.wordpress.com/about/),

In dieser Zeitschrift wurden im September 2015 den Lesern auch die Zerstörungen in Palmyra präsentiert, allerdings lediglich in einer "Bildreportage" ohne erläuternde Texte. Die Selbstverständlichkeit der Präsentation wie auch die Bildersprache erscheinen mir aufschlußreich, weshalb ich hier zwei Seiten der Daesh-Propaganda abbilde. Deutlicher als durch die von westlichen Medien verbreiteten Einzelbilder zeigt die Komposition die propagandistische Absicht der betreffenden Bilder.

Daesh Propaganda Daesh Propaganda
(Quelle: Daesh-Propaganda, Dabiq)



Zerstörung von Kirchen in Syrien und Irak:

Zerstörung von Gräbern

Kulturgutzerstörung in der westlichen Argumentation gegen Daesh - und die Position des Handels

Bevor mit militärischen Mitteln gegen Daesh vorgegangen wird, wäre es in der Tat schon lange sinnvoll gewesen, den Terroristen so weit als möglich den Geldhahn abzudrehen. Gerade das fordert nun der UN-Sicherheitsrat, der die bisherigen Anstrengungen für zu ungenügend hält. Dabei wird explizit auch der Antikenhandel genannt.

Das betrifft insbesondere den illegalen Handel mit Öl, aber eben auch den Handel mit Antiken. Zwar scheint mit den sichergestellten Unterlagen bei Abbu Sayyaf bewiesen, dass Daesh in der Tat in den illegalen Antikenhandel involviert ist, doch lässt sich die Größenordnung nur schwer abschätzen. Seit Beginn der Syrienkrise wurde diskutiert, wie das Fach mit dem Fakt der Blutantiken und der Terrorfinanzierung umgehen sollte. Einerseits führt die Situation zu einem steigenden Bewusstsein für die Problematik in Politik und Öffentlichkeit und kann damit zu einer verbesserten Gesetzeslage führen - auch wenn es in Deutschland derzeit überhaupt nicht danach aussieht. Früh wurden aber auch Bedenken geäußert, ob eine starke Betonung der Verbindung von Raubgrabungen und Terrorismus nicht eher zu Lösungsansätzen führen kann, die der Sache überhaupt nicht nutzen (vergl. Archaeologik 9.7.2014). So besteht die Gefahr, dass Maßnahmen sich ausschließlich gegen Daesh richten, wo doch eigentlich klar ist, dass auch andere Parteien im Kriegsgebiet für Plünderungen verantwortlich sind.

Aktuell entbrennt die Diskussion über den Umfang der Daesh-Antikengeschäfte erneut. Einerseits, was den Wert der Funde angeht - die bei Abu Sayyaf sichergestellten Funde sind eher von einem geringeren Sammler- und 'Markt'-Wert -  andererseits auch, was die Größenordnung des Schadens angeht. Ein Artikel im New Yorker zitiert einen amerikanischen Museumskurator, der auf die sehr viel größeren Schäden beim Bau des Euphratdammes im heute türkischen Zeugma verweist. "no matter how much effort ISIS puts into cultural depredation, the group will always fall short of the inadvertent destruction caused by large infrastructure projects where modern civilizations flourish atop ancient ones." 
In dieser Diskussion werden auch die bei Abu Sayyaf sichergestellten Belege genauer betrachtet. Es fällt auf, dass die drei zunächst publizierten Belegen zusammen eine Summe von etwa 24.000$ Steuereinnahmen ausmachen, während das US-Außenministerium von Millionen gesprochen hatte. Tatsächlich gibt es weitere Belege, die nun von Journalisten gesichtet wurden. Dabei fällt auf, dass die beiden Belege mit den höchsten Summen über 161.000$ und 40.000$ eben in US-Dollar und nicht wie die anderen in syrischen Pfund ausgestellt sind.
Das "Committee for Cultural Policy", ein Verband, der nach eigener Aussage a museum and collector perspective einnimmt, nimmt die Diskussion zum Anlaß, vom "ISIS Antiquities Funding Myth" und von einer großen Lüge zu sprechen. Man solle doch lieber die anderen, wichtigeren Finanzquellen des Daesh angreifen. Das Ganze sei eine Kampagne von Hardliner-Archäologen, die den legalen Handel vernichten wollten. Dabei wird durchaus eingeräumt, dass andere Gruppen, wie in Apameia massiv Raubgrabungen durchführen. Offenbar möchte man nicht in Zusammenhang mit der Terrorfinanzierung gebracht werden.
Bislang fällt auf, dass auf den klassischen Antikenmarkt noch keine auffallenden Massen von Antiken aus dem Raum Syrien auftauchen, obgleich schon vor einiger Zeit bei der Einfuhr von Objekten aus dem Nahen Osten in die USA ein Anstieg zu beobachten war. Allerdings ist der Handel mit Antiken auch keineswegs rückläufig, wie Statistiken des US-Zolls zeigen. Der offizielle Import von Antiquitäten und Antiken in die USA ist unverändert hoch [von einer 133%-Steigerung 2013 mal abgesehen] - trotz Handelsverbot. Offizieller Zoll-Warenwert der 2014 in die USA importierten Antiken und Antiquitäte betrug ca. 6,5 Mio $. Das Handelsembargo gegen Syrien, das die Importe ansonsten drastisch reduziert hat, wirkt sich auf den Antikenmarkt bisher nicht aus. Der Handel mit Kulturgütern macht deshalb  nun über 50% der US-Importe aus Syrien aus (Daten für 2014).

Stattdessen finden sich zahlreiche Angebote dezentral in den Social Media.  Auch hier in Deutschland wurden einer Kollegin via facebook bereits Funde aus Syrien angeboten, die sich derzeit aber noch in der Türkei befinden sollen.

Maßnahmen, Aktionen, Veranstaltungen

Nüchtern betrachtet sind auch viele der aktuellen westlichen Maßnahmen derzeit nichts anderes als Propaganda. Hier geht es darum, ein Zeichen gegen Daesh zu setzen. Antike Monumente werden mit einer Bedeutung aufgeladen, die sie so nie hatten.
Es geht darum, ein Bewußtsein zu schaffen für die Kulturgutzerstörung. Auch hier zielt man natürlich auf eine Beeinflussung der Öffentlichkeit, oft mit Mitteln, die über eine bloße Information hinausgehen. Die Grenze zwischen demokratischer Meinungsbildung und Interessensvertretung bzw. Öffentlichkeitsarbeit und Propaganda sind fließend.

Symbolisches Handeln

Ein Beispiel dafür ist etwa die Installation von 3D-Monumenten aus Palmyra in London und New York:

Die Aktion "Erhebt Palmyra zu den Sternen!" war erfolgreich (vergl. Archaeologik 27.10.2015). Der Himmelskörper Errai B heißt nun offiziell "Tadmor", der arabische Name von Palmyra. Zuvor war allerdings als Namensvorschlag der antike 'Name' kommuniziert worden. 
Khaled al-Assad, der von Daesh ermordete ehemalige Chef-Archäologe von Palmyra wurde in Italien zum Menschen 2015 gekürt:
Auch alltägliche Handlungen - oder normale wissenschaftliche Tagungen - können eine Bedeutungsebene haben, die bewusst eingesetzt wird, um die öffentliche Wahrnehmung subtil zu beeinflussen.
Der "International  Syrian  Congress  on  Archaeology  and  Cultural Heritage" vom 3. bis 6. Dezember 2015, organisiert von der Syrischen Altertumsbehörde vermittelt mit seinem Programm ein Bild der Normalität. Die wissenschaftlichen Fachvorträge und Poster betreffen die üblichen Detailfragen, wie beispielsweise die Terracotten einer einzelnen Fundstelle. Überwiegend setzen sich die Vorträge aus Präsentationen zusammen, die den Stand der Forschungen vor Ausbruch des Bürgerkriegs darstellen. Die Tagung fand in einem Hotel in Beirut (Libanon) statt.

 Konkrete Maßnahmen?

Wie kann das Weltkulturerbe gerettet werden?. T-online (30.12.2015) via dpa - http://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_76519782/jahreswechsel-wie-kann-das-weltkulturerbe-gerettet-werden-.html - Mechtild Rössler, neue Direktorin des Unesco-Welterbezentrums in Paris antwortet auf die Frage, wie das Kulturerbe im nahen Osten gerettet werden könne, dass trotz der Bedrohung viel zum Schutz dieser antiken Ruinen getan werden könne. Ihre näheren Ausführungen bleiben aber blaß. Das Beispiel Mali beschreibt nachträgliche Schadensreparaturen, der Appell an die ethischen Prinzipien des Kunsthandels klingt schwach, denn Christie's ist nicht der einzige Akteur auf diesem Sektor. Deutlich zeigt sie einige der Probleme der Safe Haven-Idee.

Dokumentation von Schäden

Nachdem es schon länger Plattformen wie ASOR oder Heritage for Peace gibt, die regelmäßig Berichte liefern, gibt es nun weitere Initiativen, bei denen allerdings nur schwer zu erkennen ist, inwiefern sie aufeinander abgestimmt sind:
  • http://shirin-international.org/  - versucht die verschiedenen Aktivitäten zusammen zu führen und in einer Datenbank zu erfassen. Dabei wurden alle Grabungsprojekte vor 2011 gesammelt und gezielt die Kenntnisse der damaligen Grabungsleiter abgefragt.

Weitere Veranstaltungen:

Digitalisierung


zum Problem der Digitalisierung

Daesh und Raubgrabungen


    Weitere Kriegszerstörungen

    Regelmäßige Schadensberichte
    Die regelmäßigen Berichte von ASOR Cultural Heritage Initiative reichen bisher bis 10. November 2015:
    Heritage for Peace Newsletters
    • Damage Newsletter – 24.12.2015 (bislang noch nicht online)

    Weitere Berichte sind auf der Website der syrischen Altertumsbehörde DGAM erschienen. Herausgegriffen sei davon nur ein Bericht zum Umland von Aleppo:
    Bosra, römisches Theater
    (Foto: M. Scholz, 1993)
    Ob der propagandistisch ausgeschlachteten Zerstörungen durch Daesh darf nicht vergessen werden, dass ein großer Teil der Schäden als Kollateralschaden des Krieges erfolgt.
    Der Abwurf von zwei Faßbomben mit TNT durch syrische Streitkräfte hat am 22.12.2015 das römische Theater in Bosra schwer beschädigt. Den publizierten Bildern nach zu schließen, ist vor allem ein Raum des Bühnenhauses betroffen

    Antikenhandel

    Schmuggelweg über den Libanon:

    Funde, die mit der Provenienzangabe Museum Palmyra auf einem lokalen Markt in der Türkei aufgetaucht sind (s. Archaeologik 1.12.2015), sind in Wahrheit wohl eher Kitsch des 19. Jahrhunderts, als archäologische Funde. Auch so ist der Fall interessant, denn offenbar ist es attraktiv, harmlose Objekte als Hehlerware aus Palmyra auszugeben, obgleich jeder Interessent ja genau davor zurück schrecken müsste. Handel mit geraubtem Gut scheint den Händlern vor Ort also weniger riskant und geschäftsschädigend als der Handel mit Fälschungen?

    Sammler

    Sonstiges:

    Links

    Dank an alle, die mit Hinweisen und Übersetzungen ausgeholfen haben!

          1 Kommentar:

          Rainer Schreg hat gesagt…

          aufgegriffen bei: http://paul-barford.blogspot.de/2016/01/the-use-of-antiquities-in-propaganda.html