Freitag, 6. Juni 2014

Brunnen, Zisternen, Dolinen – eine Archäologie der Wasserversorgung

Ein Gastbeitrag von Sebastian Brockmann 

Im Rahmen einer Lehrveranstaltung „Altsiedelland und Landesausbau - Siedlungs- und umweltarchäologische Forschungen aus Süd- und Westdeutschland“ am Institut für Ur- und Frühgeschichte und Vorderasiatische Archäologie der Universität Heidelberg wurde im Wintersemester 2013/14 der Vergleich von Altsiedelland und Regionen des Landesausbaus genutzt, um einige Grundzüge der Siedlungs- und Umweltgeschichte zu skizzieren und die methodischen und theoretischen Hintergründe der Forschung aufzuzeigen. 
Die Studierenden – von ‚Jungsemestern’ bis zu Doktoranden - wurden dazu angehalten, Einzelaspekte des Themenfeldes in Blogposts umzusetzen, von denen einige auf Archaeologik eingestellt werden.



Wasser – der Grundstein des Lebens

Wasser ist einer der wichtigsten Rohstoffe, den wir für unser tägliches Leben und Überleben benötigen. Ohne Wasser ist kein Leben möglich und in einigen Regionen ist es sogar wertvoller als Öl oder andere Ressourcen. Sowohl Fortschritte in Medizin, Wirtschaft und Technik als auch das Überleben sind abhängig von einer sauberen und kontinuierlichen Wasserversorgung. Selbst heute, mit modernsten Methoden, ist eine sichere Trinkwasserversorgung in vielen Ländern keine Selbstverständlichkeit. In Mitteleuropa stellen hingegen Wasserknappheit und verschmutzte Gewässer inzwischen eher nebensächliche Probleme dar, aufgrund der reichen Grundwasservorkommen und dem relativ hohen Umweltbewusstsein.


Der Bagmati in Nepal - Gewässerverschmutzung auch ohne moderne Industrie
(Foto: Meutia Chaerani - Indradi Soemardjan [CC BY SA 3.0] via Wikimedia Commons)

Wie haben es allerdings die Menschen im Mittelalter geschafft, Mensch, Tier und das Land mit sauberem Wasser zu versorgen ohne unsere heutigen technischen Innovationen? Oder stimmt das gängige Bild, dass die Problematik der Wasserverschmutzung erst mit der Industrialisierung und ihren Folgen auftauchte? Die Archäologie unternimmt hierbei den Versuch, Indizien und Befunde zur Wasserversorgung sicherzustellen und die Wasserversorgung zu rekonstruieren.


Römische Aquaedukte und orientalische Bewässerungssysteme sind prominente Forschungsfelder der Archäologie. Weit weniger Aufmerksamkeit hat die alltägliche Wasserversorgung in ländlichen Siedlungen gefunden, die oft kaum Spuren hinterlassen hat. Dennoch sind die Methoden der Wassergewinnung und -speicherung auch für die Archäologie in Mitteleuropa ein prinzipiell wichtiges Thema, da der saubere und kontinuierliche Zugang zu Wasser ein wichtiger Faktor für die Entwicklung einer Siedlungslandschaft darstellt und der Umgang mit Wasser ein wesentliches Element der Mensch-Umwelt-Beziehung darstellt.


Strategien zur Wasserversorgung in Mitteleuropa

Das Schöpfen von Wasser aus Seen und Flüssen zählt dabei zu den einfachen Möglichkeiten der Wassergewinnung, das allerdings archäologisch kaum bis gar nicht gefasst werden kann.


Zisternen und Brunnen
Eine besondere Leistung des Menschen zur Wasserförderung, war das Errichten von Brunnen und Zisternen, die archäologisch gut fassbar und dokumentierbar sind. Je nach örtlicher Gegebenheit variieren die Möglichkeiten der Wasserversorgung, da Klima und Geologie das Wasserangebot erheblich einschränken können.

Eine einfache, aber dennoch effektive Möglichkeit, um Wasser zu speichern, boten Zisternen, die das Regenwasser auffangen sollten. Eine feste und wasserundurchlässige Verschalung ist hierbei wichtig, damit das aufgefangene Wasser nicht austritt und im Erdreich versickert. Problematisch ist die Abhängigkeit vom möglicherweise nur saisonal auftretenden Regen. In niederschlagsärmeren Zeitenräumen konnte es sehr knapp und eine ausreichende Versorgung nicht optimal gewährleistet werden.

Der Bau von Brunnen lässt sich schon seit dem Frühneolithikum nachweisen. Brunnen sind wertvolle und faszinierende Befunde in der Archäologie, da sich nicht selten ein reiches Fundspektrum aus Keramikfragmenten, Knochen und anderen Materialen in ihnen befindet. Da Brunnen in den Grundwasserbereich reichen, bieten sich ideale Erhaltungsbedingungen auch für organische Materialien. Weiterhin bieten sie auch eine Chance zur Datierung, beispielsweise durch Dendrochronologie oder der typologischen Einordnung von Fundmaterial.
Wichtig bei Brunnen ist eine solide Verschalung, sofern sie nicht direkt in den Felsen geschlagen wurden. Dadurch wird gewährleistet, dass das Wasser gereinigt und der Brunnenschacht zusätzlich stabilisiert wird. In ihrer Machart unterscheiden Brunnen sich stark. Auch aus alten Materialen, wie Fässern, wurden im Früh- und Hochmittelalter Brunnen erbaut, um diese zu verschalen und zu festigen. Diese Fassbrunnen lassen sich häufig in größeren Handelszentren feststellen, in denen es genügend Fässer zur Wiederverwendung gab. Bei den meisten mittelalterlichen Brunnen handelt es sich jedoch um Kastenbrunnen, die oft aus Holz, später auch aus Stein gefertigt wurden und mehrere Meter in die Tiefe reichen konnten. Zur Stabilisierung wurden diese Brunnen mit Holzbohlen verstärkt und verschalt. Durch die erreichte Tiefe ist das Wasser sehr rein, da es durch die umgebenden Erdschichten gefiltert wird.

Die Sicherung von Wasser im süddeutschen Raum – Herausforderungen und Probleme
Karstlandschaften, wie sie in Süddeutschland nicht selten sind, stellen die Wasserversorung vor ein hydrologisches Problem. Solche Landschaften zeichnen sich zwar dadurch aus, dass sie durchaus über reiche Grundwasservorkommen verfügen, diese aber sehr tief liegen und mit Brunnen kaum gefördert werden können. Regenwasser versickert zu schnell, um es effektiv nutzen zu können.
So sind beispielsweise weite Teile der Fränkischen und der Schwäbischen Alb, stets dem Risiko der Wasserknappheit ausgesetzt, obwohl es ausreichend Niederschläge und prinzipiell reichlich sauberes Grundwasser gibt. Der Regen reicht zwar aus, um die Felder mit genügend Wasser zu versorgen. Der tägliche Bedarf der Bevölkerung konnte allerdings nicht allein durch das Regenwasser gesichert werden, weswegen der Einsatz von Zisternen und Brunnen überlebenswichtig war, sowohl im Karst als auch in ländlichen Siedlungen im Allgemeinen.
Dorfhüle in Asch
(Foto R. Schreg)
Wegen der Schwierigkeit mit Brunnen das Grundwasser zu erreichen, musste das Regenwasser aufgefangen und gespeichert werden. Auf der Schwäbischen Alb sind solche Wasserspeicher als ‚Hülben’ bekannt.

Hülben für die Bevölkerung lagen eher im Zentrum der Siedlung, für die Tiere außerhalb. Man unterscheidet zwischen künstlich angelegten Speichern und solchen, die natürliche Mulden und Senken nutzten. Hülben auf der Alb wurden wohl vielfach durch die Abdichtung natürlicher Dolinen angelegt und hatten daher stets das Risiko, dass sie durch geologische Prozesse erneut durchbrechen konnten und somit das Wasser ins Erdreich abfließen konnte.

Generell war die Wasserqualität der offenen Zisternen wohl eher von schlechter Qualität, da sie nicht abgedeckt wurden und somit von Insekten und Pflanzen verunreinigt werden konnten. Durch die beständige Sonneneinstrahlung büßte das Wasser ebenfalls an Qualität ein.

Frischwasser und Abwasser in mittelalterlichen Siedlungen

Das Problem der Wasserqualität stellt sich aber auch schon im Mittelalter öfters: In der frühmittelalterlichen Siedlung von Merdingen im Breisach, nahe des Rheins gelegen, wurden bei archäologischen Ausgrabungen 21 Schachtbrunnen zur Förderung von gefiltertem Grundwasser freigelegt. Sie haben eine rundliche bis ovale Form und sind aus großen Kalksteinbrocken gefertigt. Zum einen sollten sie das Grundwasser zu Tage fördern, zum anderen das Oberflächenwasser auffangen. Durch dessen relative hohe Lage wurden Gräben angelegt, um es weiterzuleiten. Man unterscheidet hierbei zwischen plattierten Rinnen und größeren Gräben. Erst genannte waren wahrscheinlich für die Frischwasserzufuhr zuständig, während die letzteren das Abwasser entsorgen sollten. Auch in der nahe gelegenen Siedlung von Breisach-Hochstetten lässt sich beobachten, wie die Einwohner ihre Wasserversorgung sicherten. Hier wurde im Unterschied zu Merdingen jedoch nur ein größerer Brunnen gefunden mit einer davon östlich gelegenen flacheren Grube. Dieser Brunnen diente zur Grundwasserförderung und besteht aus einem quadratischen Schacht aus Kalksteinbrocken, der auf einem Eichenholzrahmen ruht. In unmittelbarer Nähe des Brunnens konnte ein verlandetes Bachbett bei den Grabungen geschnitten werden. Dies wirft die Frage auf, warum ein Brunnen gegraben wurde, wenn der nahe Bach die Siedlung mit Wasser versorgen könnte. Eine mögliche Ursache wäre, dass das Wasser des Baches mit Schadstoffen, beispielsweise mit Jauche aus den umliegenden Feldern, belastet war. Um die Qualität des Wassers zu steigern, wurden Brunnen mit raffinierten Filtersystemen konstruiert. Beispiele für solch einen Brunnen sind in Riedlingen auf der Schwäbischen Alb zu finden. Die Verkleidung des Brunnenschachts wechselt zwischen Lehm- und Kiesschichten. Durch diese Abfolge konnte das gewonnene Wasser gefiltert und gereinigt werden. Möglicherweise war auch hier das Wasser der Umgebung zu sehr verschmutzt, um es unbehandelt nutzen zu können. Ähnlich verhält es sich mit dem Brunnen aus Breisach-Hochstetten. Auch hier konnte eine Kiesschicht in der Brunnenverschalung nachgewiesen werden, die als Filter für das Grundwasser fungiert haben könnte. Ein weiteres Beispiel für eine solche Situation lässt sich westlich von Stuttgart in Renningen feststellen. Auch hier wurde ein Brunnen neben einem Bach errichtet. Möglicherweise war hier ebenfalls das Wasser des Baches zu stark belastet, um es als Trinkwasser nutzen zu können. Es wäre allerdings auch denkbar, dass der Bach kein Wasser mehr führte, als der Brunnen errichtet wurde.

Wasserverschmutzung ist offenbar kein Problem jüngeren Datums. Land und Bevölkerung waren damit bereits im Mittelalter konfrontiert. Menschliche und tierische Fäkalien wurden nicht, wie heutzutage, in ein Abwassersystem mit anschließender, sehr aufwändiger Reinigung befördert, sondern unmittelbar auf den Grundstücken oder Straßen entsorgt. In den engeren Städten wurden aus Platzgründen Systeme aus Rinnen und Gräben entworfen, um das Schmutzwasser aus der Stadt in die Gewässer zu leiten. Solche belasteten Gewässer waren regelrechte Brutherde für zahlreiche Bakterienkulturen und Parasiten. Durch mangelnde Hygiene war die Bevölkerung vor diesen unzureichend geschützt. Als Folge dessen infizierten sich Zahlreiche mit Krankheiten, wie der Grippe oder der Diphyllobothriasis, eine durch die Eier des Fischbandwurms übertragene Krankheit, die heute durch bessere Hygiene eingedämmt werden können. Im Extremfall zog die Gewässerverschmutzung ebenfalls auch ein gewaltiges Fischsterben nach sich.
Daneben gibt es Belege, dass Wasser und somit ebenso die Umwelt durch Metallrückstände aus dem Bergbau oder Salze aus den Gerbereien belastet waren. So gelangte das Wasser ungereinigt in Flüsse und Bäche zurück und verschlechterte deren Qualität.

Mensch-Umwelt Beziehung

Die Probleme, die Karstlandschaften für die Wasserversorgung bieten, sind ein hervorragendes Beispiel für die Auseinandersetzung des Menschen mit schwierigen Umweltbedingungen. Dem Menschen bleiben hierbei nur zwei Optionen: Entweder er passt sich der Umwelt an und reizt die natürlichen Gegebenheiten soweit möglich aus -  oder er gestaltet seine nach seinen Wünschen, Bedürfnissen und Möglichkeiten um zur Steigerung seiner Erträge. Dabei spielt die Technik zur Wassergewinnung und Speicherung eine besonders wichtige Rolle. Je effizienter diese Techniken, beispielsweise wie der oben erwähnte Brunnenbau, waren, desto besser konnte die Wasserversorgung gewährleistet werden. Oft haben diese Eingriffe jedoch Auswirkungen, die neue Probleme aufwerfen können. Die zu intensive Nutzung von Grundwasser durch den Einsatz von Brunnen ohne kontrollierte Trennung zwischen Frisch- und Abwasser führt zu massiven Problemen. Brunnen zur Frischwasserentnahme und Bäche, um das Schmutzwasser zu entsorgen, wie es in Breisach-Hochstetten der Fall gewesen sein könnte, stellen hierbei keine Herangehensweise zur Verbesserung der Wasserqualität dar. Sie vergrößern den verursachten ökologischen Schaden im Gegenteil sogar. Möglicherweise versuchte man im Gegensatz dazu in Merdingen bereits, sauberes und verunreinigtes Wasser durch das genannte Rinnensystem zu trennen. Die Abwässer gelangten aber dennoch ungereinigt in Seen und Flüsse und verursachten enorme und langwierige Schäden an der Umwelt.


im Text genannte Fundstellen auf einer größeren Karte anzeigen

Bis heute greift der Mensch aktiv und massiv in seine Umwelt ein, ohne die Risiken oder möglichen Gefahren genau zu kennen. Dies beschränkt sich nicht allein auf die Wasserversorgung, sondern beispielsweise auch auf das industrialisierte Fördern von Bodenschätzen, die unbewohnbare Ödlande hinterlassen, oder das Abholzen der Wälder, die enorm wichtig sind für das sensible Klima der Erde und der Erosion zahlreicher Landstriche präventiv vorbeugt. Die größte Gefahr besteht darin, dass der Lebensraum durch eine Maßnahme des Menschen zwar kurzfristig aufgewertet, auf langfristige Sicht gesehen jedoch das Leben enorm erschwert bis unmöglich wird.

Die Wasserversorgung und Sicherung in früh- bis hochmittelalterlichen Siedlungen durch Brunnen und Zisternen zeigt hierbei sehr gut die Bemühungen des Menschen, sich einen Lebensraum zu erschaffen. Dabei wurde ein breites Repertoire an Methoden genutzt, von Zisternen bis hin zu Brunnen mit komplexen Filtersystemen.


Literatur
  • F. Biermann, Brunnen im mittelalterlichen ländlichen Siedlungswesen Deutschlands: ein Überblick, in: J. Klápště, Water management in medieval rural economy. Les usages de l‘eau en milieu rural au Moyen Âge. Ruralia 5; Památky archeologické Supplementum 17. (Prag 2005), 152–173.
  • B. Herrmann, Parasitologische Untersuchung der mittelalterlichen Kloaken, in: B. Herrmann (Hrsg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter (Stuttgart 1986) 160–169.
  • R. P. H. Lommerzheim, Die frühmittelalterlichen Siedlungen von Merdingen und Breisach-Hochstetten in Südbaden (Bonn 1988).
  • J. Röber / R. Röber, Der Fortschritt fordert seinen Preis, in: Archäologie in Deutschland 2006 (2), S. 20.
  • T. Rommelspacher, Das natürliche Recht auf Wasserverschmutzung. Geschichte des Wassers im 19. und 20. Jahrhundert, in: F.-J. Brüggemeier/T. Rommelspacher (Hrsg.), Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert. Beck'sche Reihe 345 (München 1989) 42–63.
  • R. Schreg, Dorfgenese in Südwestdeutschland. Das Renninger Becken im Mittelalter. Materialh. Arch. Bad.-Württ. 76 (Stuttgart 2006).
  • R. Schreg, Hülen und Tuff. Der Mensch und das Wasser auf der Schwäbischen Alb, in: Heidenheimer Jahrb. 13, 2009/10, 28-44.
  • R. Schreg, Siedlungen in der Peripherie des Dorfes. Ein archäologischer Forschungsbericht zur Frage der Dorfgenese in Südbayern, in: Ber. Bayer. Bodendenkmalpfl. 50, 2009, 293-317.
  • R. Schreg, Wasser im Karst. Mittelalterlicher Wasserbau und die Interaktion von Mensch und Umwelt, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 21, 2009, S. 17-30 (pdf bei DGAMN).

Link



Sebastian Brockmann studiert Ur- und Frühgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität Heidelberg. Sein Hauptinteresse liegt beim römischen Reich und den römischen Provinzen. Er wird seine Bachelorarbeit voraussichtlich über Gewässerfunde römischer Militaria in Westdeutschland schreiben.

Keine Kommentare: