Samstag, 10. November 2012

Stadtarchiv Stralsund - Zerschlagung historischer Bestände

Stadtarchiv Stralsund
(Foto: darkone [CC BY-SA 2.5] via WikimediaCommons)
Eine kurze Zeitungsnotiz über die Schließung der Stralsunder Archivbibliothek gab den Anstoß, dass ein unglaublicher Skandal publik wurde. Ein Antiquar hatte Schimmelbefall an seiner Ware festgestellt, die er aus der Bibliothek erworben hat. Inzwischen ist klar: Fast 6000 Bände wurden bereits im Juni 2012 aus den Beständen der Bibliothek verscherbelt, darunter vor allem Teile einer ins 17. Jahrhundert zurückreichenden Gymnasialbibliothek - einer der wichtigsten entsprechenden Bestände aus Mecklenburg-Vorpommern wird über Antiquariate (und ebay) in alle Winde zerstreut. Darunter auch Bände die nun anscheinend öffentlich nicht mehr zugänglich sind.

Ähnlich wie bei einem archäologischen Fund der Kontext ausschlaggebend ist, ist auch bei einer gewachsenen historischen Bibliothek der Gesamtbestand in seiner zeitlichen Schichtung der Erwerbung und mit seinen Arbeitsspuren (Randnotizen, Eigentumsvermerke) eine eigenständige historische Quelle. Aber auch die Einzelstücke sind bedroht. Sie werden zwar nicht sofort vernichtet, aber eine Überlieferungskontinuität ist nicht gesichert. Wie viel unwiederbringliches Kulturgut ist wohl beim Tod eines Sammlers schon im Container und im Müllheizkraftwerk verschwunden?

Das macht den Fall Stralsund so bedenklich: Hier hat sich eine Weltkulturerbestadt über ihre gesetzliche Fürsorgepflicht wohl einfach hinweg gesetzt. Der Veräußerung stimmte der Hauptausschuß der Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund in nichtöffentlicher Sitzung zu. Details des nur zufällig durch den Schimmelalarm bekannt gewordenen Verkaufs werden nach wie vor geheim gehalten.
Das darf keinesfalls Schule machen, denn sonst sind alle historischen und auch archäologischen Quellen von Ausverkauf und Vernichtung bedroht. Worum es hier geht, ist die Verantwortung oder das Versagen einer Kulturnation.
Entsprechend heftig ist die Reaktion unter Historikern und Archivaren. Inzwischen wurde angeblich auch eine Strafanzeige gestellt (Kommentare bei openpetition.de).

Die Aufdeckung des Verkaufs und die ausführliche Dokumentation dazu bei Archivalia.


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